Standpunkt Steiermark
Die weltwirtschaftlichen Kräfteverhältnisse verändern sich rasant. Neue Märkte entstehen, Handelsrouten verschieben sich, und die internationale Ordnung wird zunehmend von wirtschaftspolitischen Interessen geprägt. Zwischen einer wirtschaftlich expandierenden Volksrepublik China, den unberechenbaren handelspolitischen Kursen der USA und einem zunehmend selbstbewussten Globalen Süden steht Europa unter Druck, seine wirtschaftliche Eigenständigkeit zu behaupten.
Das zwischen der Europäischen Union und den MERCOSUR-Staaten – Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay – ausgehandelte Freihandelsabkommen soll ein Gegengewicht schaffen. Es würde über 720 Millionen Menschen verbinden und die größte Freihandelszone der Welt entstehen lassen. 2024 wurde der Vertragstext auf EU-Ebene rechtlich abgeschlossen, derzeit steht die Ratifizierung an. Der Handelsteil könnte bereits 2026 provisorisch in Kraft treten, der politische Teil – etwa zu Umwelt- und Menschenrechtsfragen – würde erst später folgen.
Für Österreich und besonders für die Steiermark ist dieses Abkommen weit mehr als ein geopolitisches Projekt in Brüssel. Es betrifft das Fundament der regionalen Wirtschaft – von den international tätigen Industriebetrieben bis hin zu kleinstrukturierten landwirtschaftlichen Familienbetrieben. Es stellt die Frage, wie sich offene Märkte, regionale Verantwortung und nachhaltiger Konsum miteinander vereinbaren lassen.
Zollabbau als Wachstumsfaktor – reale Entlastung für Exportbetriebe
Freihandel entfaltet seine Wirkung dort, wo Zölle fallen und Marktzugänge geöffnet werden. Das MERCOSUR-Abkommen sieht vor, dass 92 Prozent aller EU-Exporte in die Partnerstaaten künftig zollfrei gestellt werden. Betroffen sind vor allem Maschinen, Fahrzeuge, Metallwaren und chemische Erzeugnisse – jene Sektoren, die das industrielle Rückgrat der Steiermark bilden.
Die Unterschiede sind erheblich: In Brasilien gelten derzeit 14 % Importzoll auf Maschinen, 18 % auf Autoteile und bis zu 35 % auf fertige Fahrzeuge. Für steirische Unternehmen, die mit Präzision und Qualität in einem globalen Wettbewerbsumfeld agieren, kann der Wegfall dieser Zölle entscheidend sein, etwa für Maschinenbauer, Fahrzeugzulieferer oder Anbieter von Umwelttechnologien.
Freihandel ermöglicht die gezielte Stärkung jener Sektoren, die Arbeitsplätze sichern, Innovation vorantreiben und Wertschöpfung im Land halten.
Die Steiermark als Exportregion – wer profitiert wirklich
Die Steiermark ist wirtschaftlich gesehen kein Binnenland, sondern Exportland im besten Sinn. Laut Wirtschaftsbericht Steiermark 2024 wurden 2023 Waren im Wert von 28,9 Milliarden Euro ausgeführt, bei einem Handelsbilanzüberschuss von 7,1 Milliarden Euro – Platz vier unter Österreichs Bundesländern.
Ihre Exportstruktur zeigt deutlich, wo das Abkommen ansetzt:
Branche | Anteil am Gesamtexport | Exportvolumen 2023 |
Kraftfahrzeuge und Kfz-Teile | 24,0 % | Ca.6,94 Mrd. € |
Maschinen und mechanische Geräte | 22,3 % | ca. 6,40 Mrd. € |
Unedle Metalle und Metallwaren | 18,9 % | ca. 5,50 Mrd. € |
Diese drei Warengruppen stehen für über zwei Drittel des gesamten Exportvolumens (67,4 %) – also genau für jene Bereiche, die vom MERCOSUR-Abkommen am stärksten profitieren dürften.
Vor allem der Maschinen- und Anlagenbau, die Fahrzeugindustrie und die Metallverarbeitung sichern zehntausende Arbeitsplätze, rund ein Viertel aller steirischen Arbeitnehmer:innen sind in diesen Branchen beschäftigt. Sie prägen den industriellen Kern der Steiermark – und damit auch ihren Wohlstand. Das Abkommen wäre für sie eine Tür zu neuen Märkten, aber zugleich ein Prüfstein für faire Wettbewerbsbedingungen.
Landwirtschaft, Umweltschutz und Konsumenten
Gleichzeitig muss Freihandel auch jene mitdenken, die stärker von globalen Marktveränderungen betroffen sind: die kleinstrukturierte Landwirtschaft. Gerade in der Steiermark ist sie mehr als ein Wirtschaftszweig – sie prägt Landschaft, Identität und regionale Kreisläufe.
Die Sorge um faire Wettbewerbsbedingungen ist berechtigt. Doch das Abkommen enthält klare Schutzmechanismen: empfindliche Agrarprodukte wie Rindfleisch oder Zucker unterliegen mengenmäßigen Beschränkungen und können bei Marktverwerfungen durch Sicherheitsklauseln geschützt werden. Außerdem bleibt die Verpflichtung bestehen, dass alle Importe den europäischen Normen entsprechen müssen.
Auch die Konsument:innen spielen eine zentrale Rolle: Wer zu regionalen, nachhaltig produzierten Lebensmitteln greift, trägt unmittelbar dazu bei, dass Qualität und Herkunft auch künftig ihren Wert behalten. Freihandel und Regionalität schließen einander nicht aus – sie können sich ergänzen, wenn Verantwortung auf allen Ebenen wahrgenommen wird.
Lebensmittelstandards und Verbraucherschutz
Ein zentraler Punkt des MERCOSUR-Abkommens ist, dass europäische Lebensmittel- und Verbraucherschutzstandards uneingeschränkt erhalten bleiben. Alle Produkte, die auf den EU-Markt gelangen, müssen weiterhin den hohen europäischen Anforderungen entsprechen – von Hygienevorschriften über Tiergesundheit bis hin zu Rückstandsgrenzen und Nachverfolgbarkeit.
Zudem verpflichtet das Abkommen die MERCOSUR-Staaten ausdrücklich zur Einhaltung dieser Standards. In den Verhandlungstexten sind Schutzmechanismen vorgesehen, um das hohe Schutzniveau der EU nicht zu untergraben, sondern vielmehr zu sichern und auf internationaler Ebene zu verankern.
Das bedeutet: Europäische Qualitätsnormen gelten als Referenz, nicht als Verhandlungsmasse. Freihandel erfolgt auf Basis europäischer Werte – nicht auf Kosten von Sicherheit oder Verbraucherschutz. Damit wird nicht nur das Vertrauen in heimische Produkte gestärkt, sondern auch der internationale Einfluss Europas auf nachhaltige Produktionsweisen ausgeweitet.
Umweltschutz und Nachhaltigkeit
Das MERCOSUR-Abkommen ist das erste seiner Art, das Nachhaltigkeit ausdrücklich als verpflichtenden Bestandteil festschreibt. Beide Seiten bekennen sich nicht nur zum Pariser Klimaabkommen, sondern auch zu nachhaltiger Forstwirtschaft, Biodiversitätsschutz und fairen Arbeitsbedingungen.
Das Nachhaltigkeitskapitel („Trade and Sustainable Development“) schafft die Grundlage für dauerhafte Kooperation bei Umwelt- und Klimafragen. Es fördert den Austausch über klimafreundliche Technologien, stärkt Transparenz in Lieferketten und unterstützt Programme gegen Entwaldung. Damit sendet die EU ein klares Signal: Handel darf nicht zulasten der Umwelt gehen – er kann und soll ein Motor für nachhaltige Entwicklung sein.
Auch europäische Konsument:innen profitieren davon. Wer bewusst einkauft, unterstützt jene Standards, die den globalen Markt Schritt für Schritt nachhaltiger machen. Qualität, Transparenz und Verantwortung werden so zu den Leitprinzipien eines modernen Freihandels.
Österreichs Haltung – zwischen Agrarpolitik und Exportinteressen
Österreich verfolgt in der Diskussion um das EU–MERCOSUR-Abkommen eine besonders verantwortungsbewusste Linie. Der Nationalratsbeschluss von 2019, der die Bundesregierung zur Zurückhaltung verpflichtet, ist Ausdruck eines breiten politischen Konsenses, Umwelt- und Sozialstandards als unverrückbare Grundlage jedes Handelsabkommens zu sichern. Gleichzeitig ist Österreich stark exportorientiert und in internationale Wertschöpfungsketten eingebunden – ein Land, dessen wirtschaftliche Stärke auf Innovation, Qualität und globaler Vernetzung beruht.
Gerade die Steiermark steht beispielhaft für diese doppelte Perspektive: Hier treffen industrielle Exportkraft und landwirtschaftliche Verwurzelung in besonderer Weise aufeinander. Diese Vielfalt ist keine Schwäche, sondern eine Stärke – sie zeigt, dass wirtschaftspolitische Verantwortung darin besteht, Chancen und Risiken gemeinsam zu denken. Österreich kann dabei Vorreiter sein: für eine Handelspolitik, die Wettbewerb eröffnet, ohne den Schutz regionaler Strukturen, nachhaltiger Produktion und hoher Standards aus den Augen zu verlieren.
Fazit: Freihandel mit Verantwortung – Chancen für die Steiermark nutzen
Das EU–MERCOSUR-Abkommen ist politisch beschlossen, wirtschaftlich folgerichtig – und ein entscheidender Schritt, um Europas Wettbewerbsfähigkeit in einer sich neu ordnenden Weltwirtschaft zu sichern.
Für die Steiermark eröffnet es enorme Perspektiven: Rund zwei Drittel des Exportvolumens entfallen auf Industriezweige, die direkt profitieren würden – allen voran Maschinenbau, Fahrzeugproduktion, Umwelttechnologien und Metallverarbeitung. Diese Sektoren sichern nicht nur zehntausende Arbeitsplätze, sondern tragen wesentlich dazu bei, dass die Steiermark zu den innovativsten Industrieregionen Europas zählt.
Ein gestärkter Außenhandel bedeutet mehr Investitionen, stabile Beschäftigung und zusätzliche Mittel für Innovation und Forschung. Freihandel eröffnet Märkte, verpflichtet aber auch zu gemeinsamen Standards in Qualität, Sicherheit und Nachhaltigkeit. Die EU sichert mit ihren Vorgaben, dass die hohen europäischen Normen zum Maßstab internationaler Handelsbeziehungen werden – und nicht umgekehrt.
Der Wirtschaftsbund Steiermark bekennt sich klar zu einem Freihandel, der Chancen eröffnet und Verantwortung trägt. Offene Märkte, ja – aber auf Grundlage europäischer Werte, durchsetzbarer Standards und fairer Partnerschaft. Ein modernes Europa braucht wirtschaftliche Dynamik und globalen Marktzugang, aber ebenso das Bewusstsein, dass nachhaltiger Erfolg nur dann gelingt, wenn Wachstum, Umwelt und sozialer Zusammenhalt Hand in Hand gehen. Das EU–MERCOSUR-Abkommen ist dafür eine Chance – und die Steiermark ist bereit, sie zu nutzen.